Dr. med. Hans-Albert Gehle ist Arzt für Anästhesiologie und Innere Medizin und seit Jahren in der intensivmedizinischen Versorgung von Patienten tätig. Als Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe engagiert er sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Ärztinnen und Ärzte. Besonders wichtig ist ihm die Integration der aus dem Ausland kommenden Kolleginnen und Kollegen. Wie sehen die Integrationsmöglichkeiten zu Zeiten der Corona-Pandemie aus? Wir haben uns mit Fragen direkt an Dr. Hans-Albert Gehle gewandt.

Dr. Hans-Albert Gehle im Kreis ausländischer Kolleginnen und Kollegen, die sich auf die Fachsprachprüfung vorbereiten (das Foto entstand vor der Corona-Pandemie)
anerkennung-nrw.de: Derzeit sind Ärztinnen und Ärzte ganz besonders gefordert. Neben der bereits bestehenden Aufgabe einer guten Patientenversorgung verlangt die Corona-Pandemie ein besonderes Engagement der Ärzteschaft. Die Kliniken halten entsprechende Behandlungsplätze für Covid-19-Patienten vor, die Labormedizin ist durch zahlreiche Tests zusätzlich eingespannt, die Gesundheitsämter sind im Bereich der Vorsorge und der Begleitung von Infizierten und des Kontaktmanagements gefordert. Welche Initiativen hat aktuell die Ärztekammer Westfalen-Lippe in dieser Pandemie-Situation ergriffen?
Dr. med. Hans-Albert Gehle: Die Ärztekammer Westfalen-Lippe hat ein ganzes Bündel an Maßnahmen gleich zu Anfang der Krise geschnürt. Als Allererstes haben wir mit einem flächendeckenden Aufruf an alle Ärztinnen und Ärzte, die sich bereits im Ruhestand befinden, eine große Anzahl an Freiwilligen gewinnen können, die an unterschiedlichen Stellen die ärztliche Versorgung unterstützt haben. Mittlerweile haben sich mehr als 1.000 Ärztinnen und Ärzte gemeldet, die beim Telefondienst in der Notrufzentrale oder in den Abstrichzentren eingesetzt werden konnten.
Daneben haben wir von Anfang an das Gesundheitsministerium bei vielen Fragen der Koordination mit unserem Know-how unterstützt. Wir haben auch einen Koordinationsverbund von Ärztekammer, Kassenärztlicher Vereinigung, Deutscher Rentenversicherung, dem Universitätsklinikum in Münster und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen gegründet, um für die Zukunft besser für die Bewältigung einer solchen Infektionskrise gerüstet zu sein. Und wir haben schon frühzeitig Konzepte entwickelt, wie man den Krankenhausbetrieb wieder für elektive Maßnahmen öffnet.
Bei der Gewinnung von Fachkräften spielen viele Faktoren eine Rolle. Eine wichtige Aufgabe ist die langfristige Integration von aus dem Ausland kommenden Ärztinnen und Ärzten. Wie sieht die Willkommenskultur in Nordrhein-Westfalen aus?
Die Patientenversorgung – vor allem im Krankenhausbereich – wäre ohne den Beitrag der ausländischen Ärztinnen und Ärzte heute nicht zu gewährleisten. Der Vorstand der ÄKWL hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die Instrumente erarbeiten wird, mit denen wir noch besser auf die Belange unserer zugewanderten Kolleginnen und Kollegen eingehen und diese unterstützen können. Wir werden auch unsere Veranstaltungsreihe »Berufliche Perspektiven in Westfalen-Lippe« fortsetzen, die sich an ausländische Ärztinnen und Ärzte richtet, die seit mehreren Jahren Mitglied unserer Ärztekammer sind und einen Großteil ihrer Weiterbildung absolviert oder diese bereits abgeschlossen haben. Neben Informationen zu beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und Karrierechancen im stationären wie im ambulanten Bereich ist es Ziel der Veranstaltung, Sicherheit für die Entscheidung zu einer langfristigen Bindung zu vermitteln und institutionelle sowie finanzielle Förderinstrumente vorzustellen.
Zugewanderte Ärztinnen und Ärzte haben den Erstkontakt mit dem Gesundheitssystem in Deutschland beinahe ausnahmslos über Krankenhäuser. Hier finden auf der unmittelbarsten Ebene erste Phasen der beruflichen und sozialen Integration statt. Dafür ist Zeit, Geld und Personal in den Krankenhäusern erforderlich. Die Fallpauschalen müssen dafür regional angepasst werden.
Wie gelangt ein aus dem Ausland kommender Arzt oder Ärztin zur Approbation? Sind die Verfahrensregelungen aktuell in der Corona-Pandemie-Situation geändert worden?
Vor allem mit dem sogenannten Anerkennungsgesetz sind die institutionellen Hürden abgebaut und der rechtliche Zugang zu einer Approbation in Deutschland insbesondere für Ärztinnen und Ärzte aus Staaten außerhalb der EU seit 2013 deutlich erleichtert worden. Damit in Verbindung stehen die Prüfung der Gleichwertigkeit des ausländischen Berufsabschlusses und der für die Berufstätigkeit erforderlichen Sprachkenntnisse. Die Gleichwertigkeitsprüfung nimmt in Nordrhein-Westfalen die zuständige Bezirksregierung vor. Werden wesentliche Unterschiede festgestellt, die nicht durch Berufserfahrung ausgeglichen werden können, ist eine Kenntnisprüfung nötig. Zur Vorbereitung auf diese Kenntnisprüfung kann auf Antrag eine Berufserlaubnis erteilt werden. Die Überprüfung der berufsspezifischen Sprachkenntnisse ist in Nordrhein-Westfalen seit 2014 auf die Ärztekammern übertragen worden.
Aktuell hat das Landesgesundheitsministerium die Verfahrensregeln vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie dahingehend geändert, dass bestehende Berufserlaubnisse im Bedarfsfall um bis zu sechs Monate verlängert werden können. Bei Kandidatinnen und Kandidaten, die die Fachsprachenprüfung nicht geschafft haben, wird bis auf Weiteres geprüft, ob die berufsspezifische Sprachkompetenz so hoch ist, dass von der zuständigen Bezirksregierung eine befristete und auf eine nicht selbstständige Tätigkeit eingeschränkte Berufserlaubnis unter Aufsicht, Anleitung und Verantwortung eines approbierten Arztes bzw. einer approbierten Ärztin erteilt werden kann. Die betreffenden Kandidatinnen und Kandidaten müssen zu einem späteren Zeitpunkt die Fachsprachenprüfung wiederholen. Der Berufszugang im Rahmen einer Berufserlaubnis in Nordrhein-Westfalen aber ist auf diesem Weg erleichtert worden.

Dr. med. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe; © Sarah Johanna Eick, Ärztekammer Westfalen-Lippe
Ist es also ein Vorteil, nun relativ rasch eine Berufserlaubnis nach § 10 BÄO zu erhalten? Welche Karrierechancen eröffnen sich hiermit für einen aus dem Ausland kommenden Arzt?
Zunächst gilt einmal: Wer im Anerkennungsprozess schon weit fortgeschritten ist und eine gute berufsspezifische Sprachkompetenz besitzt, sollte den regelhaften Weg gehen. Der dann – auch in Corona-Zeiten – schnell zur Approbation führt. Die Kandidatinnen und Kandidaten, die noch nicht ganz so weit sind und nach dem erleichterten Verfahren eine befristete Berufserlaubnis erhalten, sollten – auch unter den in Corona-Zeiten sicherlich erschwerten Rahmenbedingungen – die Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, nutzen, um sich voranzubringen und möglichst zügig das Prüfungsziel ansteuern. Eine Berufserlaubnis bis zum Jahresende heißt nicht, das Ziel der Approbation nicht schon vorher erreichen zu können. Gut überlegen würde ich mir als ausländischer Arzt allerdings, ob ich mich im Hauruck-Verfahren auf eine Berufserlaubnis ohne Gleichwertigkeit des Abschlusses und ohne Fachsprachenprüfung einlassen würde – gerade wenn man eine fachärztliche Weiterbildung antreten will. Denn diese Zeiten werden nicht als Weiterbildungszeit anerkannt werden können.
Zum einen gibt es also beschleunigte Verfahren bzw. werden alte Verfahrensregeln aktuell wieder eingesetzt bei der Erteilung der ärztlichen Berufserlaubnis, zum anderen haben wir aber Kliniken, die heftig beklagen, dass viele medizinische Leistungsangebote nicht mehr von Patienten wahrgenommen werden, und die deshalb für das Personal Kurzarbeit beantragen. Welchen Rat würden Sie hier der Politik mit auf den Weg geben wollen?
Krankenhäuser und niedergelassene Ärztinnen und Ärzte müssen finanziell so unterstützt werden, dass sie durch den Shutdown nicht in eine existentielle finanzielle Schieflage geraten. Und wir müssen der Bevölkerung vermitteln, dass durch eine strikte Trennung von Patientinnen und Patienten mit Covid von den anderen Patienten sowie die deutlich gesunkenen Infektionszahlen kein Grund besteht, notwendige Arztbesuche aufzuschieben oder gar nicht erst wahrzunehmen. In der letzten Vorstandssitzung wurde ein Konzept verabschiedet, wie man den Patientinnen und Patienten wieder Sicherheit vermittelt, auch mit chronischen oder anderen Krankheiten als Covid wieder zum Arzt zu gehen. Die aktuell von der AOK vorgelegte Studie konnte belegen, dass in den letzten Wochen die Zahl der Schlaganfall- und Herzinfarkt-Patienten deutlich zurückgegangen ist. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir bald mehr Tote durch solche Krankheiten haben als durch Covid.
Das Gespräch mit Dr. med. Hans-Albert Gehle führte Barbara Rosenthal für anerkennung-medizin.de.