Anerkennung: Impfstoffverteilung

Keine Chance auf Impfung?

Das Impfversprechen war groß und die Anstrengungen, die unternommen wurden, waren enorm. Im bevölkerungsreichen Bundesland Nordrhein-Westfalen leben rund 18 Millionen Menschen, damit wurde das Impfprogramm gegen die Covid-19-Erkrankung zu einer großen Herausforderung. Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann machte zu Beginn der Impfkampagne deutlich, dass noch nie eine so große Anzahl von Menschen zeitnah geimpft werden musste.

Rekrutierung von Personal, Aufbau von Impfzentren, Start der Impfkampagne: NRW ging planmäßig und zielstrebig vor, um eine möglichst schnelle Durchimpfung der Bevölkerung zu erreichen. Insbesondere die medizinisch begründete Vorgehensweise, besonders betroffene Personengruppen nach einer transparent kommunizierten Priorisierung zu impfen, wurde gut aufgenommen und umgesetzt. Alte Menschen, schwerwiegend erkrankte Menschen, Menschen in bestimmten Berufen, insbesondere in Medizin und Pflege, wurden geimpft. Die Impfzentren funktionieren hervorragend, Impfungen durch Hausärzte kamen hinzu, nach wenigen Monaten sind bereits über 7 Millionen Menschen erstmalig gegen SARS-CoV-2 geimpft.

Und nun? Mitten in der Impfkampagne bricht das Chaos aus

Ab dem 7. Juni 2021 wird die Priorisierung entfallen und das Impfverfahren über die niedergelassenen Ärzte abgewickelt werden. Zugleich herrscht große Impfstoffknappheit. Die Zentren können kaum Termine anbieten, die priorisierten Gruppen sind noch nicht durchgeimpft, viele haben nicht einmal eine Erstimpfung erhalten. Als über 60-Jähriger in NRW einen Impftermin über das Impfportal des Landes erhalten? Fehlanzeige. Als Kontaktperson eines Pflegebedürftigen? Fehlanzeige. Als chronisch Erkrankter? Fehlanzeige. Höchstens ein Nachrück-Termin ist ab und zu über das zentrale Anrufportal der KV zu ergattern.

Dafür aber gibt es zahlreiche Impfdrängler. Ganze Freizeitvereine werden durch ärztliche Clubmitglieder einbestellt und durchgeimpft, Mitarbeiter:innen von Bundeszentralen aus ihrem Homeoffice zum Impftermin gebeten, junge Sportler:innen werden zur bevorzugten Impfgruppe. Ganz offensichtlich ist die Verteilung von Impfstoffen in der Bevölkerung zum Windhundrennen geworden. Gar keine Chancen haben die vielen Menschen ohne festen Hausarztkontakt. Auf entsprechende Anfragen per Mail gibt es in zahlreichen Praxen gar keine Antwort oder direkt eine Absage: »Wenden Sie sich bitte an ein Impfzentrum.« Aber im Impfzentrum werden keine Meldungen angenommen.

NRW braucht Impfzentren und geregelte Verfahren

Millionen Menschen müssen in NRW noch erstmalig gegen Corona geimpft werden, zahlreiche Genesene brauchen eine Impfung, Millionen Menschen brauchen eine Zweitimpfung. Jetzt die knappen Impfstoffe aus den Zentren abzuziehen und gar die Überlegung anzustellen, die Zentren herunterzufahren, ist unverantwortliches politisches und medizinisches Handeln. NRW sollte die so gut gestartete Impfkampagne fortsetzen, Gesundheitsämter unterstützen und nur medizinisch begründbar lockern, auch hier mit Priorisierungen, die das Wohl und das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen vorrangig berücksichtigen. Priorisierungen über Impfzentren sollten nicht eingestellt, sondern fortgesetzt werden: Alleinerziehende wären beispielsweise eine wichtige Gruppe.

NRW könnte hier Vorbild sein.

Ute Teichert warnt vor großem Druck auf das Impfsystem

Ute Teichert im mibeg-Institut Medizin

Dr. med. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes BVÖGD

Die Chefin des Berufsverbands der Amtsärzt:innen in Deutschland, Dr. med. Ute Teichert, nahm aktuell Stellung zur weiteren Entwicklung des Impfsystems in Deutschland. Sie wies darauf hin, dass ab Sommer zahlreiche Auffrischungsimpfungen gestartet werden müssten, zusätzlich zu den laufenden Erst- und Zweitimpfungen. Während andere Länder wie Großbritannien schon längst dabei seien, sich darauf vorzubereiten, sei die Prognose für Deutschland besorgniserregend. »Von Seiten der Politik höre ich diesbezüglich aber keinerlei Vorschläge, wie das organisiert werden sollte. Es scheint vielmehr, als liefe sie planlos in eine solche Situation hinein.«

Zum jetzigen Zeitpunkt hat erst ein Drittel der Deutschen eine Erstimpfung bekommen. In manchen Bundesländern zeichnet sich eine extrem schwierige Situation ab.

Zusätzlich zu den noch nicht organisierten Impfverfahren, die Ute Teichert vom BVÖGD anmahnt, sind aktuell noch erhebliche weitere Probleme zu lösen. Sie beziehen sich zum einen auf die vorliegenden Vektorimpfstoffe, die jetzt aktuell vor allem in Arztpraxen verimpft werden sollen.

Probleme wird zum anderen die angekündigte Aussetzung der Priorisierung mit dem erwartbaren Impfansturm ab Juni verursachen, verschärft etwa in Nordrhein-Westfalen dadurch, dass Ü60-Jährige kein prioritärer Zugang zu Impfzentren gestattet wird. Ü60-Jährige gehören zwar zur Prioritätsgruppe 3, sollen sich aber neuerdings ausschließlich in Arztzentren und da vor allem mit Vektorimpfstoffen (»Resterampe«) impfen lassen.

Unabhängig von der Diskussion um die Impfstoffe führen viele Praxen jetzt schon Wartelisten und können keine Impftermine in Aussicht stellen. Dass beispielsweise städtische Bauhofmitarbeiter bevorzugt Impfangebote bekommen, während die zuvor auf wissenschaftlicher Basis vorgenommene Priorisierung sich in Luft auflöst, kann nicht als gutes Impfmanagement vermittelt werden.

Die sehr gut gestarteten Impfzentren bräuchten hier weitere Unterstützung, um ihre erfolgreiche Arbeit fortzusetzen. Aufgabe von Bund und Land muss es sein, das Impfangebot rechtzeitig verfügbar zu machen. Wie übersichtlich die zu erwartenden Lieferungen pro Bundesland sind, zeigt die Tabelle des Bundesgesundheitsministeriums sehr anschaulich.

Überblick über den Stand der Wirkung der Impfstoffe gegen wichtigste Mutationen des SARS-CoV-2

Tabelle Vaccine efficacy by coronavirus variant

Auf die Daten, die den aktuellen Stand der Forschung zur Wirkung der Impfstoffe gegen wichtigste Mutationen des SARS-CoV-2 zeigen, wies Prof. Dr. Karl Lauterbach aktuell hin. Die Originaldateien hat das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), ein unabhängiges Forschungszentrum an der University of Washington, auf Healthcare.org veröffentlicht. Die Tabelle zeigt insbesondere Probleme bei AstraZeneca auf.